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Bahnhof Wiesloch-Walldorf - Eine unvergessliche Geschichte
Stell dir ein Universum vor, in dem ein einsamer Frankfurter sich verirrt, frühmorgens in den RJX 897 steigt, und sobald er aufwacht, befindet er sich urplötzlich im Dornbirner Bahnhof, außerhalb der rheinhessischen, vom Darmstädter Großherzog Ferdinand von und zu Lindau geprägten, bundesdeutschen Einflusshemisphäre.
Dieser Mann - Namentlich Rheiner von Lustenau - War nicht nur 400km vom Frankfurter Bahnhofsviertel entfernt, nein! Er war unfassbar wütend - Auf die Deutsche Bahn, weil er weder auf seiner Reise aufgehalten, noch jemals pünktlich ankam, weil ein gewisser Schwan vor Lindau-Reutin die Gleise blockierte. Wütend auf die Stuttgarter, die es einfach nicht gebacken kriegen, ihr Bahnprojekt fertigstellen zu können! Wütend auf die Schweizer, weil sie Frankfurt am Main erfunden haben!
Und allen voran war er wütend auf Dornbirn. Statt edlem, Schwäbsch'en Hochdeutsch sprechen die "Vorarlberger" - Wie sie sich selbst nennen - Ihre eigene Sprache, die in der Linguistik wohlbemerkt, lediglich einen Dialekt des Luxemburgischen darstellt und damit keinerlei eigene Identität darstellt.
Rheiner schrie vergeblich nach Hilfe, er wurde ignoriert. Und alles, was er bekam, war lediglich ein verdautes Kaugummi, en Leberkäs, einen Wiener Eiskaffee, ein Stückchen Brokkoli aus Bayern - Und eine Spritze, die er niemals vergessen würde.
Was Rheiner nicht wusste? Diese Spritze ermöglicht es jedem Frankfurter, Astralreisen zu vollbringen, die vierte Dimension zu betreten, den Duisburger Sinn des Lebens zu fassen, die Linzer Backrooms zu verlassen.
Er wusste nicht mehr, was echt ist und was nicht. Er sah Farben, Wälder, blütende Blumen, weiße Berge bedeckt mit dem schneeweißen, Frankfurter Gold!
Bei diesem wunderschönen, warmen Anblick bekam Rheiner Heimweh. Er fiel in tiefe Trauer, sehnte sich zurück zum Frankfurter Messegelände, zum Klebstoff bedeckten Flughafen, zur Konstablerwache.
Und als hätten 300.000 Vorarlberger Luxemburger, 82 Millionen Deutsche und vierzig Liechtensteiner nur auf diesen einen Moment in ihrer gesamten Existenz gewartet, geschah in diesem Augenblick das schier unmögliche, das selbst Elon Musk nicht geglaubt hätte!
Das Raum-Zeit-Kontinuum zerriss. Dort, wo einst Dornbirn stand, hinterließ eine unendlich schnelle Implusion ein Loch, dessen Hinterlassenschaft im Volksmund heute als Bodensee bekannt ist.
Rheiner wurde durch den Raum teleportiert. Dort, wo einst wildes, unerschlossenes Land stund, befindet sich heute der gefürchtete, aber auch weltbekannte Bahnhof Wiesloch-Walldorf. Märchen zufolge sollen sich hier bis heute verwirrte Vorarlbergische Wesen aufhalten. Ihre Art zu kommunizieren hat sich mit den Jahren in eine ganz eigene Richtung in der Linguistik entwickelt, doch es besteht nach wie vor viel Nachholbedarf. Wissenschaftlern zufolge ist lediglich etwa jedes zweite Wort erforscht, geschweige denn, können knapp die Hälfte verstanden werden. Begriffe wie "ÖBB", "Bregenzerwäldler" und "Palatschinken" konnten bis heute nicht endgültig geklärt werden. Reisenden wird freundlich darauf hingewiesen, sich von Vorarlbergern fernzuhalten.
Doch Rheiner von Lustenau machte sich nichts draus - Er war unfassbar glücklich vom Anblick der flachen, baden-württemberg'schen Landschaft. Und als er den roten RB 68 Richtung Frankfurt Hauptbahnhof sah, wusste er, dass er alsbald wieder Zuhause sein wird.
So stieg er ein, ohne je verstanden zu haben, welch Wunder er dieser Welt vollbracht hat.
Aus Märchen wurden Legenden, aus Legenden wurden Mythen, aus Mythen wurden Sagen.
Und aus dem Dornbirner Bahnhof wurde Wiesloch-Walldorf.